„Die Schule von Athen“ des italienischen Malers Raffael – eine Aktion der 9. Klasse im Fach Kunstgeschichte des Schuljahrs 2016 – 2017.
Wie kann man sich als Jugendlicher in die Kunstgeschichte hineinstellen, sie an einem kleinen Punkt zur eigenen Sache machen, um sie ein Stück weit zu verstehen oder zu fühlen?
Irgendwann im Unterricht war der Gedanke entstanden, ob man nicht die Szene eines Bildes nachstellen könnte, um den Inhalt besser zu verstehen. Da einige Theaterspieler in der Klasse waren, fiel die Idee auf fruchtbaren Boden. Nach eindeutiger Interessensbekundung ging die Suche los, ein geeignetes und repräsentatives Bild der Kunstgeschichte zu finden. Schließlich fanden wir das Bild von Raffael „die Schule von Athen“ (ein Titel, der nicht von Raffael stammt, sondern 1695 auf den Kunstsammler Pietro Bellori zurückgeht) als Zusammenstellung sämtlicher Gelehrter unterschiedlicher Zeiten auf einem großen Wandbild. Dieses Fresko steht in einem Zusammenhang mit 3 weiteren Wandbildern in Freskotechnik, die Raphael einst 1508 – 1511 für den päpstlichen Raum Stanza della Segnatura (Studierzimmer des Papstes und Versammlungsraum der höchsten päpstlichen Gerichtsbarkeit) in Rom gestaltet hatte. Was davon übrig geblieben ist, nach einer Zerstörung durch Söldnertruppen und deutsche Landsknechte des Kaisers Karl V. (Sacco di Roma), ist schwer zu sagen. Nicht zuletzt ist keineswegs geklärt, welcher Figur welche historische Persönlichkeit zugeschrieben werden kann. Aber um diese geht es ja auch nicht; es geht vielmehr darum, was diese Figuren verkörpern, wie sie sich bemühen mit ihren Möglichkeiten der Vernunft, auf den Grund der Dinge zu blicken.
Für die Schülerinnen und Schüler war es eine Gelegenheit, sich in ein großes Werk hineinzustellen, sich daran zu beteiligen und es gleichsam von innen kennen zu lernen. Dazu gehörte, sich mit einer oder mehreren dargestellten Persönlichkeit zu identifizieren und sich mit dem Gefühl für diese Person in die jeweilige Gruppe, die Raphael komponiert hatte, einzubringen bzw. einzuleben. Schließlich waren 59 Personen darzustellen und die einzelnen Szenen zu spielen bzw. zu stellen und in einen von Raphael komponierten Zusammenhang zu bringen. Zentral und geheimnisvoll bleiben die als Platon und Aristoteles benannten Figuren. Durch diese beiden bewegten und bewegenden Gestalten findet ein besonderes Geschehen statt, das geheimnisvoll bleibt und nur erahnt werden kann.
Für die Klassendynamik war es keine leichte Aufgabe, die Abläufe zu koordinieren, die Saalbesetzung zu planen und die Requisiten und Stoffe an den Mann oder die Frau zu bringen und die entsprechenden Szenen aus der richtigen Perspektive zu fotografieren. Man schaue nur auf die von zwei Schülern verkörperten Plastiken von Athene und Apollon in den hoch gelegenen Nischen mit Untersicht. Diese technischen und logistischen Herausforderungen haben verschiedenen Organisationsgruppen der Klasse angenommen und mit großer Willenskraft und Fähigkeit umgesetzt.
Wird nicht durch ein Bild, in dem Schüler diese Repräsentanten des Geisteslebens verkörpern, spürbar, was „Schule“ heißt, Menschheitsschule, in der der Einzelne ein Repräsentant ist für seine Position in der Welt und Verantwortung trägt in einem großen Menschheitszusammenhang, der auf ein tieferes Verstehen ausgerichtet ist? Sind nicht unsere Schülerinnen und Schüler berechtigt und würdig, diese Persönlichkeiten zu repräsentieren, so wie jeder von uns Betrachtern als Resonanz die Aufforderung fühlen kann, seinen eigenen Teil an der Menschheit ins Spiel zu bringen mit aller Verantwortung? So treten die Schülerinnen und Schüler hier gleichsam in ein Zukunftsbild ein. Wir trauen ihnen das zu, indem wir sie so in das Bild hinein versetzen, wie Raffael es mit den historischen Gestalten getan hat.
Mit der heutigen Rechnertechnik können wir das probieren und davon Bild geben – ein Experiment! Das ausgedruckte Werk mit 6 Metern Breite hängt im Aufgang zum Saal unserer Schule – ein Druckgeschenk der Firma News-Werbung GmbH.
In der Klassenstufe der 9. Klasse geht es um Vorbilder, um Individualitäten, die Bedeutung für die Welt hatten.
So wählen die Schülerinnen und Schüler auch in ihrer anzufertigenden Biografiearbeit eine Persönlichkeit aus, die sie anspricht und interessiert. Dieses Vorbild gibt Orientierung und fördert und konfrontiert die eigene Position, die eigenen Bestrebungen und die Haltung der Welt gegenüber.
H.W.Roth
Übrigens hatte schon 7 Jahre zuvor eine 10. Klasse einen ähnlichenVersuch mit dem kunsthistorisch bedeutsamen Bild „Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci unternommen. Hier war der Ansatz auf einen Moment konzentriert, nämlich den Ausspruch Christi: „einer von Euch wird mich verraten“. Eine Welle der Empörung und des Erschreckens ging durch die Reihen der Jünger. Diese Szene spielte die ganze Klasse immer wieder durch, bis irgendwann einmal eine Aufnahme zustande kam, bei der von vielen Beteiligten dieses Geschehen innerlich ein Stück weit gegriffen werden konnte. Heute hängt das Bild über der Geschirrrückgabe unserer Schulküche und kann zum Abschluss des Essens von jedem Gesättigten (wohl meist unbewusst) wahrgenommen werden.